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Grußwort von Nina Tippmann

Sehr geehrter Herr Dekan, sehr geehrte Richterin am Bundesverfassungsgericht, Frau Prof. Härtel, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen

"Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten, es war eine Zeit des Unsinns und der Weisheit,  es war eine Periode des Lichts und der Finsternis, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung."

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Dass es sich einmal auch – mit Charles Dickens gesprochen –  um die beste aller Zeiten handeln würde, war mir, wie sicherlich vielen von Ihnen, zu Beginn des Studiums nicht klar. Ich selbst bin in das Jurastudium nach einem weniger erfolgreichen Versuch in der Mathematik hineingerutscht. Das Jurastudium ist insofern eher etwas, das mir passiert ist, als dass ich mich in dem Bewusstsein, was da auf mich zukommt, dafür entschieden hätte. Jedenfalls: Ich habe mich arrangiert, ich habe es hinter mir, wir haben es hinter uns. Erlauben Sie mir also drei kurze Ausführungen zu den Dingen, die wir in den letzten Jahren im Studium gelernt haben:

I. Juristisches Denken

Nach dem Schweizer Rechtswissenschaftler Peter Gauch hat das an sich sonderbare juristische Denken sechs Merkmal. Es ist ein Denken in gesetzlichen Kategorien, abstraktes Denken, rationales Denken, systematisches Denken, ein Denken in Fehlern und traditionelles Denken, man könnte auch sagen, ein Denken von ausgeprägter evolutionärer Trägheit.

Erlernt man dies alles, bekanntermaßen mühselig und über viele Jahre, erscheint einem am Ende des Jurastudiums das juristische Denken eigentlich unumgänglich. Man hört schließlich auf, sich zu wundern, warum Tiere wie Sachen behandelt werden, wie eine Hypothek von ihrer Forderung entkleidet werden kann.

Im Jurastudium lernt man allerdings auch, dass zum juristischen Denken mehr gehört als die Regeln der Logik, die klassischen Methoden der Gesetzesinterpretation und die Argumentationslehre. Vielleicht gehört dazu auch das Erlernen einer gewissen Streitbarkeit – das Denken in Fehlern verleitet ja dazu – und einer daraus resultierenden Unumgänglichkeit mit anderen Menschen, jedenfalls das Angewöhnen einiger spezifischer Standesdünkel.

Diese für Nichtjuristen vielleicht eher unangenehmen Ausprägungen der fortschreitenden juristischen Ausbildung sind jedenfalls nichts, womit die Viadrina nicht gerechnet hätte. Wir wurden natürlich trotzdem auf ein würdiges Berufsleben vorbereitet. So wurde uns etwa in der Schlüsselqualifikation "Interessenorientierte Kommunikation" beigebracht, dass "manche Menschen vielleicht nicht Jura studiert haben, es aber trotzdem wertvolle Menschen sind".

II. Juristische Sprache

Was vielleicht der Laie mit den spezifisch juristischen Standesdünkeln verbindet, ist vor allem die juristische Sprache. Die Probleme beginnen für angehende Juristen bereits mit dem inflationären Gebrauch des Konjunktivs. Nichtjuristisch vorgebildete Freunde und Verwandte sollten sich zudem in den letzten Jahren an das wunderbare Wort "streitig" und die Floskel "Es kommt drauf an." gewöhnt haben, oder auch an die furchtbare Angewohnheit jeden Satz mit der Wendung "Fraglich ist…" zu beginnen.

Spätestens wenn man aber problemlos versteht, was einem der Gesetzgeber mit Formulierungen wie "Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, ist nichtig." eigentlich genau sagen will, ist man reif fürs Examen.

III. Lernen im Jurastudium

Neben der Entwicklung des Gefühls für die juristische Sprache, bildet sich bekanntermaßen im Jurastudium in Vorbereitung auf die Berufslaufbahn vor allem eines: Sitzfleisch. Schon im Grund- und Hauptstudium und im Schwerpunktbereich kam man kaum darum herum, Tage und auch einmal Nächte durchzusitzen. Die Examensvorbereitung mit ihrer unvorstellbaren Stoffmenge und den Marathonklausuren trieb es schließlich auf die Spitze. Erschwert wurde das ganze Unterfangen zudem dadurch, dass man neben dem eigenen Lieblingsrechtsgebiet auch durch alle Untiefen der anderen Rechtsgebiete durchmusste.

Zu diesem Thema möchte ich kurz einige Juristen voriger Generationen zu Wort kommen lassen:  

Franz Kafka schrieb zum Lernen im Jurastudium: "Ich studierte also Jus. Das bedeutete, dass ich mich in den paar Monaten vor den Prüfungen unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl nährte, das mir überdies von Tausenden Mäulern vorgekaut war." Kafka absolvierte sein Studium übrigens in nur sieben Semestern. Einer Zahl, von der die meisten von uns nicht einmal geträumt haben dürften.

Goethe hingegen meinte, "Es ist mit der Jurisprudenz wie mit dem Bier; das erste Mal schauert man, doch hat man’s einmal getrunken, kann man’s nicht mehr lassen“".

Damit verbleibt mir nur noch Danke zu sagen für eine Ausbildung, die in dieser Art und Weise nicht selbstverständlich ist. Das wird jeder nachvollziehen können, der mittlerweile die Bedingungen an anderen Universitäten kennengelernt hat.

Betonen möchte ich hier nur zwei Aspekte der juristischen Ausbildung an der Viadrina. Zum einen ist die juristische Ausbildung an der Viadrina – ganz im Gegenteil zu anderen Universitäten – keine Massenabfertigung. Jedem Studenten wird die Chance gegeben, sich ideal auf den Studienabschluss vorzubereiten und jedwede Unterstützung zu bekommen, die er braucht. Zum anderen ist die europarechtliche Ausrichtung unseres Studiums ein großer Vorzug. Das Europarecht durchdringt fast die gesamte nationale Rechtsordnung, aber an keiner anderen Universität wird dem Europarecht bereits im Hauptstudium und somit für alle Studenten ein derartiger Stellenwert eingeräumt. In einem geeinten Europa – und vor allem in einem durch bestimmte politische Kräfte bedrohten geeinten Europa – sollte die Viadrina ganz besonders stolz darauf sein, Juristinnen und Juristen hervorzubringen, die das europäische Einigungswerk verstehen und sich in ihm zurechtfinden können.

Der Dank – ich denke aller Absolventinnen und Absolventen –  gilt somit den Professorinnen und Professoren, dem weiteren Lehrpersonal und den Lehrstuhlteams, vor allem den Sekretariaten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung, unserem Dekan und dem Dekanatsteam, dem International Office, der Studienfachberatung und dem Unirep-Team und natürlich den Kommilitoninnen und Kommilitonen.

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